Pontus musicæ. Das Projekt

Eine Vision ist entstanden, die keine Utopie sein, sondern sehr wohl ihren Ort finden soll. Musik soll dort ihrem Publikum begegnen. Unerhörte Musik, die bisher ungehört blieb. Weil sie aus einer Zeit stammt, in der alles daran gesetzt wurde, sie überhaupt gar nie zum Klingen zu bringen. Die sie schufen, sind verdrängt und verfolgt worden. Überall da, wo die Nazis ihre Stiefel auf den Boden setzten, und überall da, wo sowjetische Panzer rollten.

Musik, die ungespielt blieb. Weil die, die sie schufen, nicht mehr am Leben oder nicht mehr bei Kräften waren, um für Aufführungsgelegenheiten zu sorgen. Es ist eine ganze Generation der Avantgarde, die an der Verbreitung ihrer Werke gehindert wurde, Werke, die im heutigen Verständnis zur Klassischen Moderne gezählt werden. Und es hat eine weitere Generation gebraucht, bis 1975 zum ersten Mal Viktor Ullmanns im November 1943 geschriebene Oper Der Kaiser von Atlantis oder Die Todverweigerung in Amsterdam aufgeführt wurde und die ersten Anfänge einer Rezeption der bis dahin nie gehörten Musik stattgefunden haben. In den 90er Jahren gewann die Beschäftigung mit dem Thema Verfemte Musik in Deutschland Intensität, und man begriff bei dieser Gelegenheit auch, dass Ullmann ja nicht nur diese im Konzentrationslager Theresienstadt entstandene Oper geschrieben hatte, sondern im Lager und auch längst zuvor "ganz normale" Kammermusik, und dass da auch noch andere Komponisten waren von vergleichbarem Schicksal und vergleichbarem künstlerischen Rang. Und dann begann man auch über Theresienstadt hinaus zu gucken und wurde sich bewusst, welch "ein weites Feld" sich da auftut.

Osteuropa hatte länger, bis zum Fall des Eisernen Vorhangs, unter der Drangsalierung allen unangepassten Schaffens zu leiden, und es hatte dazu noch elementare Existenznöte. Es ist erst zwanzig Jahre her, dass die Luft der freien Meinungsäußerung die Gesellschaft zu durchfluten begann, der Gedankenaustausch über die Grenzen hinweg möglich wurde. Erst zwanzig Jahre. Schon zwanzig Jahre. Und es ist immer noch so viel nachzuholen. Und einander mitzuteilen.

Kaum etwas kann so perfekt vergessen werden wie in Vergessenheit geratene Musik. Man kann sich kaum etwas Stummeres vorstellen als einen ungespielten Notentext. Zunächst glaubte kaum einer an die Chance, noch Notenmaterial zu finden. Aber doch gelang es, und es gelingt von Zeit zu Zeit immer wieder, verschollen Geglaubtes, zum Beispiel des Pragers Gideon Klein oder des Hermannstädters Norbert von Hannenheim, in Archiven – oder tatsächlich auf Dachböden - wiederzufinden.

Die Vision ist, dass sich Interpreten aus Ost und West für eine bestimmte Zeitspanne in Rumänien treffen, um zusammen ein Konzertprogramm aus diesem Fundus zu gestalten. Danach werden sie wieder auseinander gehen, und sie werden auf die Bekanntschaft mit einem neuen Land, mit neuer Musik und mit einer wunderbar kommunikativen Atmosphäre zurückschauen und dies zu Hause fruchtbar machen. Die Musiker lieben solche Neubegegnungen, die ihnen ganz nebenbei auch ein erweitertes Verständnis der etablierten Kompositionen ermöglichen. Dem Publikum geht es ganz genau so: "Aber das ist ja wunderbare Musik! Wo blieb sie nur so lange?" Das sagt uns die Erfahrung von zwei Jahrzehnten. Und auch, dass die Überzeugungsarbeit Zeit braucht. Aber sie braucht vor allem einen Anfang. Einen, der die Aufmerksamkeit anzieht, einen, der ihrer Bedeutung angemessen ist.